• © Hanna Karstens - Percussion Day 21.09.2019

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So viel Fiebermessen war nie

Wir waren überwältigt, in welchem Maße sich unsere Behörde für die Rückholaktion des Mädchenchores Hamburg engagiert hat. Vor allem unserem Senator, Ties Rabe, unserem Landesschulrat, Thorsten Altenburg-Hack, und unserer Aufsicht über die Institute, Uwe Grieger, sind wir zu großem Dank dafür verpflichtet, dass sie sich zum Teil rund um die Uhr und ruhelos für den Mädchenchor einsetzten, bis der Flieger in Baku abhob. Sogar Dr. Peter Tschentscher, Hamburgs Oberbürgermeister, nahm an der Aktion teil und begrüßte wartende Eltern am Flughafen persönlich.

Weiterhin danken wir der Leiterin des Chores, Gesa Werhahn, und dem Chormanager, Christoph Pillat, für ihren Einsatz, ihre Besonnenheit und ihr Beharrungsvermögen in dieser unvorhersehbaren schwierigen Situation.      Prof. Guido Müller

Am 28. Februar brach der Mädchenchor Hamburg der Staatlichen Musikschule zu seiner diesjährigen Konzertreise auf. Das Ziel: Georgien, Armenien und Aserbaidschan. Alljährlich unternimmt der Chor, der die besten Mädchenstimmen der Hansestadt vereint, große Reisen, um Konzerte zu geben, in Kontakt mit Chören in der ganzen Welt zu kommen und Land und Leute kennenzulernen. In diesem Jahr also ging es an die östlichen Grenzen Europas.

Dass die Welt bei ihrer Rückkehr eine andere sein würde, ahnten die jungen Chorsängerinnen, ihre Chorleiterin Gesa Werhahn und der Chormanager Christoph Pillat bei Anbruch der Reise noch nicht. Alles war in Deutschland noch „normal“. Die erste Woche führte den Chor nach Georgien. Hier, in Tiflis und in Batumi, erlebten die Mädchen eine herzliche Gastfreundschaft – bei Veranstaltern und in Gastfamilien –, schöne Konzerte und Begegnungen mit ausgezeichneten Chören vor Ort. Eine Mischung aus Disziplin „alter russischer Schule“, Temperament und musikalischem Herzblut zeichne die Chöre, die man dort getroffen habe, aus, berichtet Gesa Werhahn. In den Gastfamilien seien die Sängerinnen zwar auf einfachste Verhältnisse, aber auch auf große Herzlichkeit gestoßen. Nur bedingt in englisch, ansonsten in Zeichensprache fand die Verständigung statt. Die Mitglieder des Chores sind inzwischen erfahren in der Begegnung mit anderen Nationalitäten und Kulturen. Erfahrung und erlernte Eigen-ständigkeit der Sängerinnen kamen dem Chor auch dann zugute, als die Reisebedingungen sich langsam veränderten. Denn in der zweiten Reise-woche wandelte sich der Umgang mit dem Virus in den Gastländern. Konzerte in den großen und repräsentativen Sälen wurden in kleinere privatere Räume verlegt. Angesichts rasant steigender Infektionszahlen in der Heimat wurde die Gruppe aus Deutschland zunehmend als Corona-Risikogruppe wahrgenommen. An den Grenzen, die der Chor passieren musste, fanden nun regelmäßige Gesundheitskontrollen statt: Fiebermessen bei jedem Mitglied der Gruppe war angesagt. Die Sorge, dass bei einer dieser Kontrollen tatsächlich jemandem die Einreise verweigert werden könnte, wuchs. Ein eigenes sehr gutes Fieberthermometer wurde angeschafft, vor jedem Grenzübergang wurde nun zunächst „intern“ gemessen. Trotzdem wurden immer wieder einzelne herausgerufen, kurzzeitig separiert, um dann wieder in den Bus zurückkehren zu dürfen. Bei der späten Ankunft in Erewan wurde der Bus an die Straßenseite gewinkt, große Krankenwagen mit Blaulicht waren im Einsatz, eine nicht angekündigte Kontrolle wurde durchgeführt. Auch in den Gastfamilien war nun eine gewisse Skepsis gegenüber den Deutschen zu spüren. Insgesamt kam das öffentliche Leben in den bereisten Ländern nach und nach zum Erliegen, ebenso wie es zu dieser Zeit in Deutschland der Fall war.

Letzte Station der Reise war Aserbaidschan. Am Flughafen in Baku spitzte sich die Situation zu. Das schon bekannte Fiebermessen hatte erneut eine Separierung von vier Chormitgliedern sowie des Chormanagers Christoph Pillat zur Folge. Sie wurden per Blaulichtfahrt ins Krankenhaus zur Abklärung gebracht. Hier, so Gesa Werhahn, wurde die Situation angespannt. Die deutsche Botschaft wurde eingeschaltet, und nach mehreren Stunden des bangen Wartens wurden die fünf zu den anderen ins Hotel entlassen. Die geplanten Konzerte in Baku waren inzwischen komplett abgesagt worden. Ein vorzeitiger Abbruch der Reise war zu diesem Zeitpunkt aber schon nicht mehr möglich. Immerhin waren die Mädchen hier gemeinsam untergebracht. Die letzten beiden regulären Tage der Reise waren angebrochen. Doch die geplante Rückkehr am Sonntagmorgen konnten die Chorsängerinnen nicht antreten: Kurzfristig war der Flug abgesagt worden, ein verlängerter Aufenthalt in Baku also unvermeidlich. Mit großem organisatorischen und finanziellen Aufwand (aus Deutschland halfen Eltern mit ihren Kreditkarten) wurden Plätze in einer Lufthansa-Maschine für den darauffolgenden Mittwoch gebucht. Aber auch dieser wurde kurzfristig gecancelt. Jetzt war klar: Auf regulärem Weg würde die Gruppe so schnell nicht nach Hause kommen. Die Situation verschärfte sich weiter, da in Baku nun an vielen öffentlichen Plätzen Fiebermessungen stattfanden und man bereits ab 37,0 als nicht fieberfrei galt. Es musste mit weitreichenden Maßnahmen, einschließlich Quarantäne-Aufenthalt in weit außerhalb der Stadt gelegenen Einrichtungen gerechnet werden. Der Chor zog sich entsprechend ins Hotel zurück und verließ dieses nur noch in Kleingruppen zu kleinen abendlichen Spaziergängen. Die Moral der Mädchen wurde in diesen Tagen durch verschiedene Maßnahmen aufrechterhalten. Aus Deutschland wurden per Mail Noten geschickt, sodass Proben in kleinen Gruppen durchgeführt werden konnten. Die Betreuer sorgten für eine gewisse Struktur im Tagesverlauf. Und abends boten zwei der älteren Chorsängerinnen eine „offene Sprechstunde“ für alle an, die etwas auf dem Herzen hatten und jemanden brauchten, mit dem sie reden konnten. Wichtig, so Gesa Werhahn, war die ganze Zeit über auch die Gewissheit: Alle sind gesund. Immerhin brachte dieser erzwungene Aufenthalt auch eine Art Entschleunigung zu der zuvor sehr straff organisierten und prall gefüllten Konzertreise.

Am Schluss halfen viele Menschen mit: der Chormanager Christoph Pillat vor Ort, Musikschul-leiter Guido Müller, Bildungssenator Ties Rabe und Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack in der Hamburger Heimat sowie die deutsche Botschaft. Und schließlich einer der Väter der Sängerinnen, der als Lufthansa-Pilot mit dafür sorgte, eine Chartermaschine zu organisieren, die den Chor schließlich als erste Gruppe der von Bundesaußenminister Heiko Maas angekündigten „Rückholaktion“ nach Hamburg zurückbrachte. Empfangen wurden die Weitgereisten am Hamburger Flughafen nicht nur von ihren Familien, sondern auch von zahlreichen Pressevertretern und offiziellen Vertretern der Hansestadt. Für deren Einsatz bedankten sich die Mädchen mit einem kleinen Ständchen.

Dass das ganze Unternehmen auch zu einem Kostenfresser wurde, liegt auf der Hand: weitere Hotelübernachtungen, Flugbuchungen in der dann gestrichenen Lufthansa-Maschine (die Rückerstattung hat bisher nicht stattgefunden) und die zusätzliche Chartermaschine. Letztere soll aus Mitteln der Hansestadt und/oder des Auswärtigen Amtes finanziert werden. Sicher ist: Diese Konzertreise wird den Mädchen lange im Gedächtnis bleiben.

Quelle: nmz- neue musikzeitung Juni/2020 S. 24 Redaktion: nmz; Matthias Pannes